Projektdetails
„Das Verstehen von Zusammenhängen lässt uns einen Sinn in unserem Leben erkennen“, sagt der Philosoph Wilhelm Schmid.
Von daher nennt Sven Weihreter, in dem dieser Satz des Philosophen Schmid besonders lange nachklang, seine neue Schaffensphase zusammenhängend. Einzelbilder sind formal, räumlich und sinnhaft verbunden. So entstehen mehrteilige Bild-Arrangements, die ein Thema aus unterschiedlichen Richtungen betrachten.
„Würden wir erkennen, dass alles zusammenhängt, könnte das Weltgeschehen für uns vielleicht etwas mehr Sinn ergeben“, meint der Künstler.
Sven Weihreter, eigentlich ein diplomierter und erfolgreicher Industrie-Designer, beschloss 2003, sein Leben nicht mehr dem Kommerz, sondern der Kunst zu widmen. Kunst, stellt Weihreter in dankenswerter Klarheit fest, sei das Wichtigste auf der Welt, und das schon seit den Höhlenmalereien von Abri Castanet vor über 37000 Jahren.
Als Industrie-Designer hatte er dreidimensionale Produkte entwickelt, die in Serie industriell gefertigt werden, und von daher scheint es zunächst verwunderlich, dass Sven Weihreter sich für die Malerei und nicht für die dreidimensionale Kunst, die Bildhauerei entschieden hat.
Letztlich war es eine bewusste Entscheidung für das Malen und gegen all das zuvor im Design Erlernte. Man sieht und spürt dies ebenso in seinen frühen Werken, die sich sehr zweidimensional zeigen und jegliche Räumlichkeit negieren. Mittlerweile malt er frei. Frei im vorzüglichsten Sinne, denn es scheint ihm egal zu sein, ob das Resultat plakativ-grafisch, designhaft-elitär oder künstlerisch expressiv gerät.
Sven Weihreter bewegt sich künstlerisch zwischen subjektivem Surrealismus und objektivem Fotorealismus. Dabei weist er allerdings den Surrealismus weit von sich, denn es handelt sich – und das ist hier der entscheidende Punkt – nicht um Traumwelten, die er erschafft, sondern er bildet die Realität „lediglich” ab, um sie danach in einen neuen Kontext zu setzen. So entsteht etwa aus dem Bild eines toten Vogels, das er neben das Bild einer Überwachungskamera hängt, eine verwirrende, durchaus jedoch alltägliche Situation. Diese collagenartigen Gemälde-Mindmaps schaffen eine Vielzahl von Assoziationen und Interpretationsmöglichkeiten. Außerdem kann man die einzelnen Gemälde von Sven Weihreter, innerhalb eines Werks so kombinieren, wie man will. Man kann, wenn man dies so möchte, den Vogel und die Überwachungskamera so hängen, dass die Kamera auf den Vogel blickt, oder aber auch von ihm weg, sich quasi von ihm abwendet. Hat also die Kamera gesehen, wie der Vogel ums Leben kam, oder war sie auf der anderen Seite und es war ihr schlichtweg unmöglich, dessen Tod zu dokumentieren? Hat sie am Ende absichtlich weggeschaut, oder konnte der Vogel trotz Überwachung nicht gerettet werden? Oder ermöglichte gerade die Überwachung den Tod des Vogels?
Solche oder ähnliche Verfremdungseffekte sind in der Kunst natürlich bekannt. Was allerdings neu ist, ist die Art Hilfestellung, um die Komplexität der Gegenwart zu durchdringen und zu hinterfragen. Der Künstler möchte kein subjektives Gefühl erzeugen, er möchte objektive Erkenntnis ermöglichen. Und gerade an jenem Punkt findet sich Weihreter auf der sicheren Seite wieder, weitab von postmoderner Beliebigkeit.
Es geht hier nicht um astrale, also surrealistische traumhafte Erlebnisse oder um mentale, gefühlsmäßige Ausdrucksformen, wie von der Romantik bis zu Expressionismus vorgebracht, sondern um kausale Zusammenhänge, also um den Verstand und das Verstehen.
Kurz gesagt, es geht um Bewusstseinsentwicklung.
Vielleicht dürfen wir es also so begreifen: Die Bildwelten von Sven Weihreter sind philosophische Betrachtungen der Realität. Sie bestehen aus durchweg alltäglichen Bildern, die sich verändern lassen, im Geistigen durch Bewusstseinsveränderung, sowie im Physischen durch das Verändern der Bild-Arrangements.
In den Werken von Sven Weihreter geht es nicht um romantische Gefühle, sondern es geht um Erkenntnis.
Das Streben nach Glück macht nicht dauerhaft glücklich. Doch die Erkenntnis, warum Dinge zusammenhängen, vielmehr, wie sie zusammenhängen, lässt uns einen Sinn im Leben finden, und das ist allemal besser als die Jagd nach den so schnell vorbeiziehenden Glücksmomenten.
Durch das Betrachten der Gemälde von Sven Weihreter stellen sich uns richtige Fragen, und wir blicken hinter die Kulissen der sogenannten Realität, doch so manches Mal würden wir uns dringlichst wünschen, nicht in jenen Apfel der Erkenntnis gebissen zu haben. Doch so ist das mit der Kunst. Da müssen wir durch.
Dr. Thomas Stemmer, Philosoph, September 2012, Sevilla